Interview mit Gernot Wagner

„Nicht die ‚Stinkreichen‘, sondern den ‚Gestank‘ müssen wir besteuern!“

Der Klimawandel ist nicht mehr zu stoppen. Und er wird teuer. Wir können nur mehr versuchen, das Schlimmste zu vermeiden, indem wir die Kohlendioxid-Emissionen auf Null reduzieren. Sagt Gernot Wagner, Ökonom an der Harvard University und Co-Autor von "Klimaschock", im Interview. Ein Ausblick auf seine Keynote-Speech bei den Zukunftsgesprächen der FH Campus Wien am 24. November 2016.

Warum betrachten die Menschen den Klimawandel so wenig als Problem?
Weil der Klimawandel gleichzeitig zu dramatisch – traumatisch – und derzeit noch nicht greifbar genug ist. Dazu kommt, dass der Klimawandel die fast einzigartige Kombination aus global, langfristig, irreversibel und ungewiss ist. Das perfekte Problem.

Wie groß ist das Klimaproblem aktuell wirklich?
Das letzte Mal, als die Konzentration von Kohlendioxid so hoch war wie heute – 400 ppm –, zeigte die geologische Uhr „Pliozän“ an. Das war vor über drei Millionen Jahren. Die globalen Durchschnittstemperaturen waren um 1 bis 2,5 Grad Celsius wärmer als heute, die Meeresspiegel waren bis zu zwanzig Meter höher und in Kanada lebten Kamele. Natürlich sehen wir das heute noch nicht und es sagt auch kein Klimamodel voraus. Aber das ist genau das Problem: Es sind die Dinge, die wir (noch) nicht wissen, die den Klimawandel so teuer machen werden.

Können wir die Welt noch retten? Oder haben wir den Point-of -no-Return längst erreicht?
Klimawandel gänzlich zu vermeiden, geht tatsächlich nicht mehr. Die Auswirkungen spüren wir ja teils schon und das Kohlendioxid, das bereits in der Atmosphäre ist, wird Dinge noch lange schlimmer machen, bevor es wieder besser wird. Allerdings ist es für Pessimismus viel zu spät. Es gibt genug, was man – wir – machen können und müssen.

Sie plädieren in Ihrem Buch "Klimaschock" dafür, das Kohlendioxid – ich zitiere – „fertig zu machen“. Ist das in dieser Form überhaupt realistisch? Können wir die Kohlendioxid-Emissionen soweit reduzieren und die negativen Auswirkungen des Klimawandels stoppen?
Das muss man natürlich im Kontext verstehen. Andere nehmen den Klimawandel als Anlass, gegen den Kapitalismus zu argumentieren – als Anlass, die Stein- und Stinkreichen zu besteuern. Ich argumentiere: Allem voran sollten wir nicht die „Stinkreichen“, sondern den „Gestank“ selbst besteuern. Es geht nicht darum, den Kapitalismus fertigzumachen, sondern das Kohlendioxid. Ohne Innovation geht wenig und keine Innovation ohne menschliche Tatkraft, ohne Kapitalismus eben.
Und ja, obwohl wir den Klimawandel selbst nicht mehr gänzlich stoppen können – dafür ist es zu spät –, müssen Kohlendioxid-Emissionen tatsächlich auf Null kommen, um eine Chance zu haben, das Schlimmste zu vermeiden.

Sie forschen in Harvard im Bereich Geo-Engineering. Welche Risiken birgt der Einsatz von Geo-Engineering? Und können wir mit Technik das Klimaproblem tatsächlich lösen?
Nein, lösen können wir das Problem damit nicht. Kohlendioxid muss vermieden werden. Aber die ersten Forschungsergebnisse in diese Richtung zeigen tatsächlich, dass Geo-Engineering helfen könnte, die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu lindern. Auf alle Fälle müssen wir jetzt weiter daran forschen, um in nächster Zukunft den politischen Entscheidungsträgern besseres Wissen vermitteln können.

Welche Rolle spielen Forschung und technologische Entwicklung, die Menschheit vor ihrem möglichen Untergang zu retten?
Ich würde nicht von „Untergang“ sprechen, sondern von enormen Kosten. Die Rolle von Forschung und Entwicklung dabei ist klar: Ohne Fortschritt geht kaum etwas. Oder besser gesagt: Zurück in die Höhlen zu gehen, hilft kaum etwas. Der grünwählende, vegetarische Radfahrer – und ja, ich bin alle drei Dinge – wird uns vor dem Klimawandel nicht schützen. Der- oder diejenige, die an der nächsten kohlendioxidarmen Transporttechnologie forschen, tun das schon viel eher.

Warum fällt es den Menschen so schwer, die Begrenzung der Welt zu erkennen und nachhaltig mit ihr umzugehen?
Der Klimawandel ist tatsächlich das perfekte Problem. Niemand hat ein Eigeninteresse, genug zu tun, um seinen eigenen Kohlenstoffausstoß zu verringern – geschweige denn, dass das überhaupt möglich wäre. Auf Englisch spricht man vom „Freerider“-Problem, jenes des Trittbrettfahrers, denn der Klimawandel ist das ultimative „Freerider“-Problem. Natürlich sollen – müssen – wir alle ethisch handeln. Wir müssen uns aber auch im Klaren sein, dass ohne die richtigen Rahmenbedingungen – eine Kohlendioxid-Steuer etwa – das Problem nicht zu lösen ist.

Was wäre für Sie eine echte ethische Lösung im Kampf gegen den Klimawandel?
Die Kohlendioxidbelastung muss denselben Weg gehen wie etwa Kinderarbeit und Sklaverei – dass sie etwas ist, das es aus rein moralischen Gründen zu vermeiden gilt. Das zu erreichen, ist natürlich nicht einfach. Wir sind leider noch viel zu weit davon entfernt. Unsere jetzige Gesellschaft funktioniert ohne Kohlendioxid einfach nicht. Oder anders gesagt: Ohne Kohlendioxid-Emissionen würden heute mehr Leute sterben und davor ein schlechteres Leben genießen als mit. Es geht also erstmals darum, menschliche Tatkraft und Einfallsreichtum in die richtige Richtung zu lenken, angeleitet von einem ausreichend hohen Kohlendioxidpreis, der die wahren Kosten für die Gesellschaft widerspiegelt. Das ist unsere beste Hoffnung, der jetzigen Situation noch zu entkommen.

 

Interview: 10. Oktober 2016


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