11. Juni 2018

Digitalisierung in der Sozialwirtschaft

 

Sozialwirtschaftliche Organisationen sind besonders herausgefordert, ihr Dienstleistungsangebot am veränderten Bedarf ihrer AdressatInnen bzw. ihren Zielgruppen auszurichten, um den digitalen Wandel zu nutzen. Die Spring School des Europäischen Masterstudiengangs „Sozialwirtschaft und Soziale Arbeit“ widmete sich deshalb im Mai 2018 mit rund 120 Teilnehmenden diesem Thema.

Gruppenfoto Vortragende Spring School 2018

Ausschnitte der Podiumsdiskussion

> Brigitte Reiser, die den Blog Nonprofits-digital.de betreibt und Organisationen in Deutschland berät, verwies darauf, dass KlientInnen, als auch SozialarbeiterInnen und LeiterInnen in unterschiedlicher Form von Digitalisierung betroffen sind. Technik sei per se nicht wertneutral: der digitale Wandel verändert die Leistungsbereiche, das Management und Prozesse in sozialwirtschaftlichen Organisationen. Neue Dienstleistungen, Märkte, Verfahren und Beziehungen entstehen. Digitalisierung bietet, sowohl für MitarbeiterInnen, KlientInnen als auch ehrenamtlich Tätige, neue Formen der Partizipation.

> Janet Kuschert vom Mentoringprogramm Sindbad (Wien) betonte, dass sich die Kommunikation und die Beziehung der Menschen untereinander durch neue Medien verändert haben: Informationen werden individuell erstellt und untereinander verteilt. Um den passenden Content für die jeweiligen Zielgruppen in sozialwirtschaftlichen Organisationen aufbereiten zu können, braucht es ein Kommunikationskonzept sowie entsprechende Kompetenzen und Ressourcen. Es sei unmöglich, als Sozialarbeiterin nebenbei Online-Medien mit Inhalten zu versorgen und mit UserInnen im permanenten Austausch zu sein.

> Digitalisation: wonder pencil or a gun?  
Paul Timmers (bis 2017 Direktor für Digital Health&Aging, E-Government, Smart Cities, Cybersecurity und Digital Privacy in der Europäischen Union und Visiting Research Fellow an der Oxford University) stellte sein Know-how rund um die “Digital Agenda” der Europäischen Union zur Verfügung.

> Vom umfassenden Veränderungsprozess in vielen Organisationen durch die Digitalisierung ist auch Harald Frei, Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Rummelsberger Diakonie (D), überzeugt. Trotzdem sei gerade im Bereich sozialer Dienstleistungen nicht damit zu rechnen, dass in der Zukunft Roboter und Algorithmen die Arbeit von Pflegekräften oder SozialarbeiterInnen übernehmen werden. Dennoch brauche es die Auseinandersetzung mit digitalen Angeboten, Medien oder Prozessen.  

> Michael Freund, der sich im Fonds Soziales Wien mit dem Thema Active and Assisted Living beschäftigt, sieht im Bereich Pflege und Betreuung neue Einsatzgebiete durch digitale Anwendungen, digitale Produkte oder gar durch Roboter. Trotzdem ist die Zielgruppe der SeniorInnen noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen; vielen fehlt der Zugang zum oder die Erfahrung mit dem Internet.

> Nicolas Felber, Leiter der Sozialberatung in der Klinik Zollikerberg (CH), betonte, dass es sowohl digitale Kompetenz, d. h. technisches als auch soziales Know-how braucht, um den digitalen Wandel aktiv (mit-)gestalten zu können.

> Dass Digitalisierung auch den Schwächsten der Gesellschaft nutzen kann, zeigt das „Betreute Konto“ der Schuldnerberatung Wien. Alexander Maly ortet viele weitere Möglichkeiten der digitalen Partizipation bzw. wie digitale Angebote der Sozialen Arbeit zum Wohle der KlientInnen eingesetzt werden könnten. Die Frage die sich dabei stellt, ist, wer für ein neues Angebot bezahlt.

Podiumsdiskussion Spring School 2018

Digital Social Economy: gelebte Praxis in Österreich

Im Rahmen der Podiumsdiskussion mit VertreterInnen aus sozialwirtschaftlichen Organisationen in Österreich wird deutlich, dass bereits zahlreiche digitale Innovationen realisiert werden.

> Thomas Valina war an der Entwicklung des „Betreuten Kontos“ der Schuldnerberatung Wien beteiligt; er lehrt im Bachelor „Soziale Arbeit“ an der FH Campus Wien. Digitale Tools in die analoge Beratung zu integrieren schafft dann einen Mehrwert für alle Beteiligten, wenn diese Tools im Beratungsprozess praktikabel sind. Der Kontakt über E-Mails kann helfen, Berührungsängste bei Beratungsstellen abzubauen, aber kann den face-to-face-Kontakt zwischen BeraterIn und KlientIn nicht ersetzen.

> Eine positive Bilanz zieht auch Bettina Zehetner, die seit vielen Jahren Online-Beratung bei Frauen*beraten Frauen* anbietet. Diese Form der Beratung kann z. B. den Umfang der Telefonkontakte minimieren. Bei der Online-Beratung empfinden die Klientinnen das Schreiben selbst als entlastend.

> Viel Erfahrung mit dem Einsatz digitaler Medien und in Form von Spielen hat Goran Maric von Three Coins. Dieses Social Business ergänzt digitale Beratungsangebote und Online-Games durch Workshops, um die Finanzkompetenz von Jugendlichen zu fördern. Partizipation der UserInnen ist bei der Entwicklung von Online-Games und Apps oberste Prämisse, um den Social Impact zu maximieren.

> Auch der Arbeiter Samariterbund Österreich beschäftigt sich aktuell stark mit digitaler Transformation. Elia Meier von der Zukunftsabteilung 2025 berichtet von einigen Hürden: es gibt bei KollegInnen und Ehrenamtlichen noch immer Vorbehalte, digitale Medien und Anwendungen zu nutzen. Gerade in einer so verzweigten Vereinsstruktur mit vielen lokalen Gruppen ist das eine große Herausforderung.

Publikum Spring School 2018

Sozialwirtschaft muss Digitalisierung aktiv mitgestalten

Die Sozialwirtschaft muss sich in die diesbezügliche fachliche Debatte einbringen, um adäquate und bedarfsgerechte (neue) Angebote für die jeweiligen Zielgruppen anbieten zu können. Der Mensch muss dabei im Mittelpunkt bleiben. Die gekonnte Nutzung der Technik hilft zu vermeiden, dass viele zu VerliererInnen in der digitalen Gesellschaft werden.
Innovative Kooperationsprojekte an der Schnittstelle zwischen sozialem und technischem Sektor, die sowohl die MitarbeiterInnen- als auch KlientInnen-Sicht miteinbeziehen, helfen Know-how zu bündeln. Dafür müssen jedoch auch entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden.

 

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