20. September 2017
Leistbares Wohnen, Bildungs-, Gesundheitsangebote und Erholungsräume, Konfliktkultur, Urbanisierung als Geisteshaltung sind zentrale Hebel für Lebensqualität in der wachsenden Stadt, so der Tenor einer internationalen und interdisziplinären Konferenz an der FH Campus Wien.
Im Rahmen der Konferenz „Urbane Transformationen und Lebensqualitäten in der wachsenden Stadt rückten die ArbeiterInnenviertel in peripheren Räumen erstmals ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Aus mehr als 80 internationalen Einreichungen wurden wissenschaftliche Beiträge ausgewählt. Neben KeynotespeakerInnen von Hochschulen aus Österreich, Schweiz, Deutschland und Großbritannien fanden öffentliche Podiumsdiskussionen mit ExpertInnen und VertreterInnen der Wiener Stadtpolitik und -verwaltung statt.
Nur wenn man die Stadtentwicklung aus der Sicht verschiedener Disziplinen wie Architektur, Soziale Arbeit, Gesundheit oder Technik, betrachtet, hat man die Chance zu Lösungen nachhaltigen Lösungen zu kommen: „Wenn wir Stadttechnologien verstehen wollen, müssen wir uns mit deren zugrundeliegenden Wertevorstellungen und Zielen auseinandersetzen und nicht nur mit ihren technischen Eigenschaften, so Dietmar Offenhuber, Northeastern University, Boston.
Demnächst 200.000 EinwohnerInnen, unterdurchschnittliche Einkommen, hoher Migrationsanteil, das ist ein Gesicht von Favoriten. Ein anderes: Der neue Stadtteil Sonnwendviertel rund um den Hauptbahnhof, die U1-Verlängerung oder die Entwicklung der FH Campus Wien zur Science City im Süden Wiens. Das sind Beispiele dafür, dass sich der ehemalige ArbeiterInnenbezirk verändert – mit hoher Dynamik, steigenden Preisen und zunehmender Heterogenität. Jörg Fackelmann, Leiter der Mobilen Jugendarbeit - Back on Stage 10 bestätigt: „Bei einem Großteil der Jugendlichen ist eine starke Identifikation mit „ihrem“ Bezirk wahrnehmbar. Mit den ihnen zur Verfügung stehenden räumlichen Ressourcen haben sie gelernt sich zu arrangieren.“
„Die Herausforderungen für einen stark wachsenden Bezirk sind die Erhaltung und Verbesserung der Wohnqualität durch leistbaren Wohnbau verbunden mit ausreichendem Bildungsangebot und Gesundheitsversorgung sowie der Vernetzung von urbanen Bezirksteilen mit diversen Stadtentwicklungsgebieten, so Josef Kaindl, Bezirksvorsteher Stv.. Diversität im Auge zu behalten, ist in jedem Fall wesentlich für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Denn „die“ Migration gäbe es nicht, sondern verschiedene Formen, wie Tourismus, Austauschstudierende, Flüchtige – wies Felicitas Hillmann, Professorin für Transformation städtischer Räume im internationalen Kontext an der TU Berlin, hin. So bürgen migrantische Ökonomien Potenziale und seien als urbane Transformationen für die Entwicklung bestimmter Quartiere substanziell.
Künstlerische Strategien neben der klassischen Etablierung von sozialen und kulturellen Programmen verfolgt Barbara Holub, transparadiso. Sie betont, wie wichtig es ist, einen neuen ersten „Schritt VOR der Planung“ gemeinsam mit AkteurInnen vor Ort zu entwickeln („Direkter Urbansimus“), um Kommunikationsprozesse zwischen verschiedenen Bereichen der Gesellschaft anzuregen – für ein durchmischtes und lebendiges Viertel
Wilhelm Behensky, Geschäftsführer der FH Campus Wien, sieht die rasant wachsende Hochschule mit Ausbauplänen am Standort „Altes Landgut“ als Chance, um für die Wiener Bevölkerung den Zugang zu akademischer Bildung und lebenslangem Lernen zu verbessern. Das ermögliche gesellschaftliche Teilhabe – eine wichtige Voraussetzung für Lebensqualität. Wesentlich sei es auch, die Bevölkerung vor Ort in diese Stadtentwicklung miteinzubeziehen. Davon ist auch Sozialraumexperte und Lehrender an der FH Campus Wien, Christoph Stoik überzeugt: "Die Herausforderung ist, die Menschen, die in diesen unterschiedlichen Stadtteilen, in den Altbauvierteln, im Gemeinde- oder Neubau leben, ‚mitzunehmen‘, damit sie nicht zu den VerliererInnen der Transformationen werden.“ Auch in Zeiten zunehmender Ausgabenkürzungen vieler Städte, meinte Ali Madanipour, Professor für Urban Design an der Newcastle University, sei es wesentlich den Zugang zu öffentlichem Raum auch für benachteiligte Gruppen zuzulassen, zumindest über eine symbolische Präsenz – in der die Identität der Bevölkerung im öffentlichen Raum repräsentiert wird, wie zum Beispiel im Stadtteil ‚Norrebro’ in Kopenhagen.
Christoph Chorherr, Planungssprecher, Die Grünen Wien: "Das Prinzip einer wachsenden Stadt: Was gestern noch ‚Peripherie‘ war, wird morgen ‚mitten in der Stadt‘ sein. Die größte Herausforderung: Den explodierenden Bodenpreisen entgegentreten“. Für Thomas Madreiter, Planungsdirektor der Stadt Wien, geht es darum „bestehende und neu entstehende Strukturen besser zu verweben, Zentren zu stärken, die Stadt auch in periphereren Lagen vielfältiger zu machen“. Wien stehe im internationalen Vergleich relativ gut da, weil die Stadt noch über Baulandreserven verfüge und der öffentlich subventionierte Wohnbau Wohnen für viele leistbar mache. Das bestätigte auch Marie Glaser, Leiterin des ETH Wohnforums an der ETH Zürich und verwies auf den Stellenwert sozialer Wohnmodelle.
Der genossenschaftliche Wohnbau habe in der Schweiz keine vergleichbare Tradition – Zürich zeige hier aber mit einer Quote von 25 Prozent andere mögliche Wege: „Die Genossenschaftsidee neu zu beleben und genossenschaftlichen Wohnungsbau auf Basis der Kostenmiete zu realisieren, ist als eine Schiene unter mehreren bei der Versorgung mit leistbarem und inklusivem Wohnraum, sinnvoll. Zudem braucht es eine Unterstützung der AkteurInnen an der Schnittstelle zwischen Sozialhilfe und Wohnungsmarkt“, so Glaser.
Umso schwieriger sei es, so Marc Diebäcker, Politikwissenschaftler und Sozialraumexperte der FH Campus Wien, mit Blick auf Wien, insbesondere für die ca. 3.000 bis 5.000 wohnungslosen oder in ungesicherten Verhältnissen lebenden Menschen wieder Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Tanja Wehsely, Beratungsgruppe Soziale Arbeit im öffentlichen Raum und Gemeindetätin der SPÖ stimmte zu, dass die Stadt vor der großen Herausforderung stehe, genügend Wohnraum für besonders vulnerable Personen zu schaffen. Der Druck auf kostengünstigen Wohnraum steige jedenfalls. Dies zeige sich dadurch, dass die Frage des leistbaren Wohnraums in Wien bereits in der Mittelschicht angekommen sei, so auch Daniel Glaser IBA_Wien und Wohnbauforschung, Stadt Wien. Einig waren sich alle Beteiligten darin, dass eine aktivere Bodenpolitik und ein mutiger Einsatz bestehender Instrumente gegen explodierende Bodenpreise ein möglicher Weg in Wien wären.
Die Veranstaltung fand im Zuge des Projekts Wiener WissensWelt-Trendradar für Markt und Wissenschaft der FH Campus Wien, gefördert von der Stadt Wien (MA 23), sowie im Rahmen des internationalen Hochschulnetzwerks INUAS statt.