28. März 2019
Peter Schernhardt, Fachpsychologe für Klinische Psychologie und Psychotherapie, sprach im Rahmen Campus Lecture des Masterstudienganges Kinder- und Familienzentrierte Soziale Arbeit am 7. März 2019 über selbstprotektive Verhaltensweisen von Kindern. Er veranschaulichte die Eltern-Kind-Beziehungen an Hand von Videos.
Laut Peter Schernhardt bedeutet Leben Beziehung. Oftmals würde unterschätzt, dass Menschen von Geburt an von Beziehungen abhängig sind. So stellt sich auch die Frage nach sozialer Gerechtigkeit gleich nach der Geburt – in welche Familie beziehungsweise in welche familiären Beziehungsangebote man hineingeboren wird, sei schlicht und einfach Glück und nicht Gerechtigkeit.
Babys sind unbeschriebene Blätter, die sich im Laufe ihrer Entwicklung an die gegebenen familiären Bedingungen durch (oft auch bizarre) selbst-protektive Strategien anpassen. Um das zu veranschaulichen, projizierte Peter Schernhardt mehrere Videosequenzen, welche die Interaktion einer Mutter mit ihrem kleinen Mädchen zeigten.
Die verschiedenen Szenen ließen erkennen, dass die Mutter eine Reaktion des Kindes erzwingen wollte. Sie schien sich mehr Emotionen, mehr Zugewandtheit und Beziehung von ihrem Kind zu wünschen. Das Kind wirkte jedoch von dem Überangebot an Zuwendung durch die Mutter (ständiges Kitzeln, Berühren, in die Luft werfen, Schaukeln, …) überfordert, es wandte sich ab. Die Augen des Kindes gingen auf Distanz zur Mutter, das kleine Kind drückte sich weg. Die so eingeforderte Pause konnte die Mutter jedoch nicht geben, sie erhöhte den Körperkontakt mit ihrer Tochter. Das Mädchen war zu diesem Zeitpunkt sechs bis acht Wochen alt.
Als das Kind schließlich älter wurde, wählte es ein anderes selbst-protektives Verhalten: das Mädchen sah seine Mutter vermehrt an und wandte sich ihr zu. Mit acht Monaten hatte es verstanden, dass seine Mutter Zuwendung und Beziehung braucht und entsprach diesem mütterlichen Wunsch, wodurch die Beziehung insgesamt harmonischer wirkte. Die Beziehungsqualität hatte sich jedoch nicht verbessert. Das Kind hatte lediglich mit falsch positiven Effekten - wie dem Anlächeln der Mutter - gelernt, sich um sie zu kümmern. Dabei negierte es seine eigenen Bedürfnisse. Ein Verhalten, das auf zwei psychologische Prozesse - Hemmung und Unterdrückung von Verhalten und Gefühlen sowie Ausdruck falscher Gefühle durch angepasstes Verhalten – hinweist und schließlich auch in andere Beziehungen und Lebensbereiche mitgenommen wird.
Schnell wurde den Zuseher*innen klar, das Video zeigt „Mord“ im Sinne der zerstörten Beziehung durch zu viel Liebe, zu viel Kontrolle, zu viele mütterliche Bedürfnisse. Das Mädchen hatte keine Möglichkeit zu sagen, was es will, es musste sich mit der Situation arrangieren. Eine entsprechende Videoanalyse zeigt, im Gegensatz zu dem, was die Eltern erzählen, was das Kind erzählen würde.
Dr. Peter Schernhardt ist Fachpsychologe für Klinische Psychologie und Psychotherapie (BDP), Supervisor, Leiter der Psychotherapeutischen Fachambulanz für Babys und Kleinkinder (SPZ Traunstein, Klinikum Südostbayern), CARE-Index Trainer für Infancy und Toddlers, Mitbegründer und Ausbildungsleiter (TIA, BASKET).
Wenn das Wünschen nicht mehr hilft …