28. Mai 2018
Die Wohnungsfrage wird zur zentralen sozialen Frage in städtischen Gesellschaften und war Themenschwerpunkt der Campus Lectures des Masterstudiums Sozialraumorientierte und Klinische Soziale Arbeit im Mai.
Christian Reutlinger, Leiter des Instituts für Soziale Arbeit und des Kompetenzzentrums Soziale Räume der FHS St. Gallen, erklärte, welche Dimensionen für die Wohnungsfrage relevant sind: Aus sozialräumlicher Sicht sind es einerseits Bedingungen des Wohnens als konkrete Gegebenheiten, unter denen Menschen leben sowie soziale und wirtschaftliche Voraussetzungen, andererseits aber auch die Verfestigungen dieser Verhältnisse in der städtischen Siedlungsstruktur. Unter Heranziehung von Friedrich Engels Frühwerk „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ aus dem Jahre 1845 wurde deutlich, dass die Wohnungsfrage nicht „gottgegeben“ ist, sondern von Menschen gemacht wird und Interessen verfolgt. Sozialraumarbeit nimmt – gemäß dieses Ansatzes - Gestaltungsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen in den Blick: Die Gestaltung der physisch-materiellen Welt, die Arbeit mit den Menschen und die Veränderungen struktureller Bedingungen.
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden genau diese Gestaltungsmöglichkeiten auf die Situation in Wien konkretisiert. In der Analyse zeigte sich, dass die Wohnungsfrage inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, wie das Martin Orner, Geschäftsführer der EBG Gemeinnützige Ein- und Mehrfamilienhäuser, Baugenossenschaft reg. Gen. m. b. H. formuliert hat – und das obwohl der Anteil an kommunalen und gemeinnützigen Wohnungen in Wien vergleichsweise sehr hoch ist.
Elisabeth Hammer, Obfrau der bawo - Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe und Geschäftsführerin des Vereins „Neunerhaus - Hilfe für obdachlose Menschen“, rechnete vor, dass eine Wohnung dann leistbar ist, wenn nach Abzug der Wohnkosten 830 Euro in einem Einzelhaushalt zur Verfügung bleiben (Zahlen aus 2016). Sie verwies aber auch darauf, dass sich die Situation vieler wohnungsloser Menschen in den letzten Jahren verbessert hat. Die Auflösung von Heimstrukturen und die frühzeitige Wohnversorgung („housing first“) orientieren sich an Mindeststandards menschlicher Wohnbedürfnisse. Gegenwärtige politische Überlegungen, abermals große Institutionen am Stadtrand zur Wohnversorgung zu errichten, stellen sich in dem Kontext äußerst absurd dar.
Dass sich die Wohnungsfrage auch im kommunalen Wohnbau zeigt, beschrieb Isabella Wohinz, Leiterin des wohnpartner-Teams im Gemeindebau für den 14., 15. und 16. Bezirk. Die Konflikte, mit denen sie in ihrer Arbeit zu tun hat, sind der Ausdruck von unterschiedlichen Bedürfnissen in teilweise belasteten sozialen und ökonomischen Verhältnissen.
Der Druck auf den kommunalen und gemeinnützigen Wohnbau hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Der Altbau kann diesen Druck nur noch sehr begrenzt aufnehmen, wie auch ein Kollege der sanften Stadterneuerung im Publikum bestätigte. Nachverdichtung sei zwar ein Lösungsansatz. Dafür müsste aber die bestehende Wohnbevölkerung „mitgenommen“ werden: Deren Bedürfnisse müssen berücksichtigt werden und Nachverdichtung dürfe nicht auf Kosten des öffentlichen Raums erfolgen, der für die Entlastung eine bedeutende Rolle spielt.
Als zentrale Frage stellte sich bei der Diskussion der Zugang nach erschwinglichen Grund und Boden heraus. Hier müssten stärkere Maßnahmen geschaffen werden, um ausreichend günstig kommunal und gemeinnützig bauen zu können.
Einigkeit herrschte am Ende auch darüber, dass es ein gemeinsames Lobbying für leistbares Wohnen Sinn macht. Die Interessen der „Mittelschicht“, der BewohnerInnen im gemeinnützigen und kommunalen Wohnbau und der vulnerablen wie wohnungslosen Menschen sollte nicht auseinanderdividiert werden, VertreterInnen dieser Bereiche sollten gemeinsam auftreten, um die Wohnungspolitik entsprechend zu beeinflussen.